Chancen und Risiken der Kleinbäuerlichen Urbanen Tierhaltung
By Gundula Jahn
[Dipl. Agr. Ing, Praktikantin im Arbeitsfeld Viehwirtschft, Veterinarwesen und Fischerei der GTZ in der Zeit vom 01.121996 -29.02.1997]
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1 Zusammenfassung
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Problematik der stetig ansteigenden Weltbevölkerung immer mehr in den Vordergrund gerückt. Die Betrachtung der Wachstumszahlen der letzten Jahre und die Prognosen für den Beginn des nächsten Jahrtausends machen deutlich, daß nach der Jahrtausendwende mehr Menschen in Städten als in ländlichen Regionen leben werden (Engelhardt et al., 1996).
In den 70er Jahren versuchten die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit die Förderung der Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums zur zentralen Strategie zu machen, mußten aber mit den Jahren feststellen, daß sich die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte dadurch nicht verhindern ließ. Auch die Massenarmut ließ sich dadurch nicht bekämpfen (Jahn, 1996). Die immer stärker in den Vordergrund tretende Urbanisierung führte in der Entwicklungs-zusammenarbeit zum Umdenken: die sogenannten Strukturanpassungsprogramme (SAP) wurden entwickelt. Diese hatten u.Êa. zur Aufgabe, die Situation der drastischen Verschuldung vieler Entwicklungsländer zu verändern (Urff, 1997). Die Korrektur verzerrter Wechselkurse bewirkte zunächst eine Verteuerung der Einfuhrpreise und eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten.
Zur Unterstützung der städtischen Massen, wurden in vielen Ländern die Nahrungsmittel subventioniert, um somit die Preise für die ärmeren Bevölkerungsschichten zu senken. Doch auch diese verbilligten Nahrungsmittel konnten sich nur wenige leisten, da ein Großteil der Bevölkerung über kein regelmäßiges Einkommen verfügte.
Um in dieser Situation überleben zu können, wurde begonnen nach eigenen Einkommens- und Überlebensmöglichkeiten zu suchen. Eine sehr häufig anzutreffende "Lösung" war und ist auch heute noch die sogenannte urbane Landwirtschaft. Freie Flächen in der Stadt, seien es unbebaute Grundstücke, Straßenränder, Haus- und Dachgärten, werden mit Nahrungspflanzen bebaut und auf engstem Raum werden die unterschiedlichsten Tiere gehalten. Diese Art der Beschäftigung und Einkommensschaffung, die zum informellen Sektor zählt, existiert bereits sehr lange. Sie stellt ein großes Potential zur Selbsthilfe der städtischen Armen dar, was aber viele Jahre nicht beachtet wurde. Oft waren Stadtplaner vielmehr bemüht, gegen diese Art der Landwirtschaft vorzugehen.
Erst in den 80er Jahren wurde immer deutlicher, daß sich dieses Phänomen nicht so schnell wie gewünscht, aus dem städtischen Raum verbannen läßt und daß das Selbsthilfepotential dieser Aktivität mehr Beachtung verdient.
Ziel des nachfolgenden Berichtes ist es, auf einen Teilaspekt dieser urbanen Landwirtschaft, nämlich die urbane Tierhaltung, näher einzugehen.
In den permanent wachsenden Großstädten der sogenannten Entwicklungsländer existieren unterschiedliche Tierproduktionssysteme. Neben groß angelegten, modernen Betrieben zur Produktion von Eiern, Geflügelfleisch oder Milch, die von staatlicher Seite unterstützt oder auch vorfinanziert werden, um die städtischen Massen zu versorgen, existiert eine Tierhaltung auf Familienebene. Hühner, kleine Wiederkäuer, Schweine, Meerschweinchen, Kaninchen, Milchkühe oder -büffel werden in "low-input"-Systemen gehalten. Sie tragen dazu bei, der steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln, insbesondere der Nachfrage nach tierischen Proteinen, gerecht zu werden. Denn trotz der Belieferung der städtischen Märkte durch industrielle Tierproduktionsbetriebe läßt die Ernährungssitution vieler ärmerer Haushalte zu wünschen übrig. Zudem verbessert die kleinbäuerliche Tierhaltung das Einkommen einer Familie bzw. senkt deren Lebenshaltungskosten. Die gehaltenen Tiere stellen einen Puffer gegenüber hohen Inflationsraten dar und ermöglichen den produktiven Einsatz "freier" Resourcen (wie Arbeitszeit, pflanzliche Abfälle oder Bewuchs freier städtischer Flächen).
Neben den Vorteilen der städtischen Tierhaltung sind aber auch Probleme und Risiken zu berücksichtigen. Dazu zählen unter anderen Krankheitsübertragungen vom Tier auf den Menschen, Belastung der Trink- und Abwässer durch tierische Abfälle, Überweidung von städtischen Grünflächen oder zusätzliche Arbeitsbelastung der Frauen und Kinder.
Um diese Probleme zu minimieren oder so gering wie möglich zu halten und die Vorteile zu stärken, gilt es in Zusammenarbeit mit den tierhaltenden Familien und sämtlichen anderen beeinflussenden Institutionen (unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten wie gesetzliche Vorschriften, Futterverfügbarkeit, Vermarktungs- und Absatzmöglichkeiten, u.a.), nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen.
Die wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet: "Wie läßt sich urbane Tierhaltung in der Weise unterstützen, daß sie tatsächlich langfristig gesehen nachhaltig zur Armutsbekämpfung und Verbesserung des Wohlstandes der Stadtbevölkerung beitragen kann?"
Ein sehr wichtiger Aspekt ist die Beachtung und Anerkennung der urbanen Tierhaltung durch öffentliche Institutionen. Meist wird urbane Tierhaltung von Stadtplanern als ein vorübergehendes Phänomen betrachtet, auf das langfristig keine Rücksicht genommen werden muß. Eine Beachtung und gesetzliche Regelung durch den Staat wäre aber sehr wichtig, um das Feld zur Förderung und Unterstützung durch andere Institutionen wie Veterinär- und Beratungsorganisationen zu ebnen.
Anschließend gilt es, gemeinsam über einen partizipativen Ansatz mit sämtlichen Akteuren zu überlegen, welches die Hauptprobleme der urbanene Tierhaltung sind und welche Möglichkeiten bestehen, diese anzugehen. Möglichkeiten wären u.a. die Minimierung von Verlusten aufgrung hoher Mortalitäten, geringen Zuwächsen oder geringen Produktionsleistungen (z.ÊB. Milch, Eier) durch Beratung und Weiterbildung. Neben der Verbesserung der Produktions- und Haltungstechnik, kann dazu angeregt werden, Kooperativen zu gründen, um beim Einkauf von Tieren oder Produktionsmitteln Ausgaben zu senken oder um beim Verkauf der Tiere und tierischen Produkte möglichst hohe Erlöse zu erzielen. Welches jedoch die geeigneten Maßnahmen sind, hängt ganz vom jeweiligen Standort und den Bedürfnissen der jeweiligen Tierhalter ab.
Abschließend läßt sich festhalten, daß davon ausgegangen werden kann, daß urbane Tierhaltung eine große wirtschaftliche Bedeutung für die ärmeren urbanen Haushalte hat. Urbane Tierhaltung stellt für die Stadthaushalte ein im ökonomischen Sinn rationales Verhalten dar. Wie hoch der Beitrag der Tierhaltung zum Haushaltseinkommen aber anteilsmäßig zu bewerten ist, läßt sich aus den wenigen verfügbaren Studien nur schwer ermitteln. Dennoch sollte angesichts der immer stärker wachsenden städtischen Bevölkerung die "Selbsthilfemaßnahme" der Städter nicht unbeachtet bleiben und mit allen beteiligten Akteuren (Staat, Städteplaner, Tierhalter, Berater, etc.) nach Lösungen gesucht werden, die dazu beitragen, die Einkommens- und Ernährungssituation der ärmeren städtischen Bevölkerung zu verbessern.
2 Definition und Charakterisierung
2.1 Urbanisierung und Stadtentwicklung
Bevor auf den Begriff der urbanen Tierhaltung näher eingegangen wird, soll zunächst das Thema der Urbanisierung, insbesondere in Entwicklungsländern, dargestellt werden.
Im elementarsten Sinn bezieht sich Urbanisierung auf den Anteil der Bevölkerung, der in als urban zu bezeichnenden Regionen lebt (StrenÊetÊal.Ê1992:8). Eine Mindesbevölkerungsanzahl einer Siedlung von 1000 oder 5000 und mehr Menschen kann nach kanadischer bzw. US-Festlegung bereits als urban gelten. Dabei wird nicht auf die Fläche näher eingegangen, die besiedelt ist. Die Grenzen solcher Siedlungen werden u.a. durch die Verwaltung oder die Funktionen der Stadt bestimmt. In diesem engeren Sinne verändert sich der Urbanisierungsgrad eines Landes in dem Maß wie sich die Wachstumsraten in ländlichen bzw. städtischen Regionen verändern. Letztendlich ist nach dieser Definition der Urbanisierungsgrad höher, je mehr Menschen der Gesamtbevölkerung eines Landes in Städten leben. Erfolgt nach dieser Definition der Urbanisierung ein Vergleich von verschiedenen Ländern oder Städten, so ist bei den jeweiligen dazu herangezogenen Studien darauf zu achten, welche Art der Eingrenzung und Charakterisierung einer Stadt vorgenommen wurde. Werden in einigen Ländern z.ÊB. die Vororte zu den Städten mit hinzugezählt, in anderen dagegen nicht, so ist ein Vergleich des Urbanisierungsgrades streng genommen gar nicht möglich. Dieser Aspekt sollte auch bei der weiteren Diskussion über urbane Tierhaltung nicht vergessen werden.
In einem weiter gefaßten Sinne stellt Urbanisierung einen Prozeß dar, einen Prozeß den eine gesamte Nation oder eine Gesellschaft durchläuft. Dieser Prozeß der sich sowohl geplant als auch ungeplant vollzieht, umfaßt neben ökonomischer, sozialer und territorialer Transformation auch die Verteilung von Wohlstand und politischer Macht. Urbanisierung in diesem Sinne erfordert, daß man eine Stadt als ein System anerkennt. Dieses System beruht auf komplexen Interaktionen ("holistischer Ansatz"), die eine Stadt erst funktionieren lassen (StrenÊetÊal.Ê1992:9). Um das urbane System zu verstehen und mit ihm arbeiten zu können, um auf urbane Entwicklung Einfluß nehmen zu können ("urban development approach"), gilt es einen multidisziplinären Ansatz anzuwendenden und Experten möglichst vieler Disziplinen zunächst bei einer Analyse und später in einen Planungs- und Entscheidungsprozeß mit einzubeziehen. Neben Stadt- und Landnutzungsplanern sollten sich Geographen, Soziologen, …kologen und Agraringenieure zusammentun, um gemeinsam mit den Betroffenen, nämlich der städtischen Bevölkerung und da nicht nur mit Leuten der reichen Oberschicht, sondern mit Leuten aus sämtlichen Einkommensverhältnissen nach Möglichkeiten der Stadtentwicklung zu suchen. Die Förderung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Vielfalt und die Selbstorganisation des Zusammenlebens in einer Stadt sollten dabei im Vordergrund stehen (BMZ, 1989).
Im weiteren soll dieser zweite, weiter gefaßte Begriff der Urbanisierung als Diskussionsgrundlage dienen. Ein Urbanisierungsgrad läßt sich hiermit aufgrund des Prozeßablaufs zwar nicht festlegen, genügt aber für die folgende Darstellung der urbanen Tierhaltung.
Es gilt allerdings klar zu stellen, welche Städte bei der Betrachtung der genannten Problematik gemeint sind. Es geht hierbei nicht um Klein- oder Mittelstädte -mit Ausnahme von Asien-, sondern vielmehr um Großstädte in den sogenannten "Entwicklungsländern". Diese sind meist charakterisiert durch eine Bevölkerungszahl von mehr als 200.000 Einwohnern und ein stärkeres Bevölkerungswachstum als im gesamten Land. Dieses stärkere Bevölkerungswachstum hat seine Ursachen nicht in einer höheren Geburtenrate im Vergleich zu den ländlichen Regionen, sondern vor allem in der Land-Stadt-Migration und in der Verlegung von Stadtgrenzen (Eingemeindung von Vororten) (Schürch&Favre, 1985; Sporrek, 1985).
2.2 Flächeneinteilung einer Stadt zur Darstellung der Nutzungsmöglichkeiten in Hinblick auf urbane Tierhaltung
Obwohl Städte sich in einem permanenten Entwicklungsprozeß befinden und sich damit die Nutzung und die Funktionen einzelner Stadtteile ändern, wurde von Smit (UNDP, 1996:96) versucht, große Städte in unterschiedliche Bereiche bzgl. der landwirtschaftlichen Nutzung einzuteilen. Dazu wird die moderne Stadt in vier Zonen eingeteilt: Zentrum ("core"), Korridore ("corridor"), Keile ("wedge") und Peripherie ("periphery"). Jeder dieser Zonen wird eine für sie charakteristische Landnutzung oder landwirtschaftliche Produktion zugeordnet. In der am dichtesten besiedelten Innenstadt, dem Zentrum, werden vorübergehend freie Flächen wie Bauplätze, Dächer oder öffentliche Flächen für intensive, aber kurzfristige Landwirtschaft (z.B. nur eine Anbauperiode) genutzt. Die Korridore umfassen innerstädtische Zonen um die Hauptverkehrsadern. Sie sind einem sehr schnellen Wandel unterworfen, was für die Landbewirtschaftung in der Stadt zur Folge hat, daß sie nur zwischenzeitlich (etwa drei bis vier Jahre) betrieben werden kann. Die Anbauer und Tierhalter profitieren meist von einer guten Infrastruktur und der Nähe zu guten Absatzmärkten. In diesen Zonen ist Kleintierhaltung, z.ÊB. kleinere Hühnerfarmen zu finden. Zwischen den Korridoren befinden sich die Keile, die ebenfalls einem ständigen Wandel unterliegen. Dieser findet aber langsamer statt, was für Anbauer und Tierhalter bedeutet, vorhandene Flächen längerfristig nutzen zu können. Die Keile stellen die Hauptnutzungsfläche für urbane Landwirtschaft dar. In ihnen ist auf Grund der Flächenverfügbarkeit häufig schon Milchviehhaltung zu finden. Unmittelbar angrenzend an das Stadtgebiet ist die ringförmig um die Stadt angrenzende Peripherie. Die hier betriebene Landwirtschaft hat meist größeren Umfang als in den anderen Zonen und dient je nach Stadt immer mehr der Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, weswegen diese Zone von Smit (UNDP, 1996) ebenfalls zur urbanen Landwirtschaft gerechnet wird.
Durch diese Darstellung wird deutlich, daß bei der Diskussion der urbanen Tierhaltung eine betrachtete Stadt nicht als homogene Einheit betrachtet werden kann, sondern je nach Nutzung und Dichte des jeweiligen Stadtviertels sich die Art der Tierhaltung stark ändert.
2.3 Urbane Tierhaltung
Ein allgemeingültige Definition für urbane Landwirtschaft - nämlich der Anbau von Pflanzen (Nahrungs- sowie anderen Nutzpflanzen einschließlich Nutzbäumen) und die Haltung von Tieren innerhalb von bebautem, städtischem Gelände - und insbesondere urbane Tierhaltung existiert nicht. Da das Phänomen der städtischen Landwirtschaft in seinen Ausprägungen so unterschiedlich ist, daß es Verallgemeinerungen so gut wie nicht zuläßt, wird es eine Definition voraussichtlich auch in Zukunft nicht geben.
Eine Unterscheidung zwischen urbanen und peri-urbanen Gebieten, d.h. den Übergangszonen zwischen Stadt und Land, soll dabei nicht gemacht werden, da die Übergänge oft fließend und dynamisch sind. Die Städte wachsen mit einer sehr hohen Geschwindigkeit und lassen die heute noch als peri-urban zu bezeichnenden Stadtteile zu den urbanen Gebieten von morgen werden.
Um aber zu verdeutlichen, welche Zielgruppe von urbanen Tierhaltern in diesem Beitrag gemeint ist, wenn von kleinbäuerlicher urbaner Tierhaltung die Rede ist, wird eine gewisse Eingrenzung vorgenommen. Im Anschluß daran werden noch andere Herangehensweisen zur Definition bzw. Beschreibung der urbanen Tierhaltung dargestellt, woraus ersichtlich wird, warum es so schwierig ist, allgemeingültige Abgrenzungen zu machen.
Die kleinbäuerliche urbane Tierhaltung, die hier gemeint ist, wird vorwiegend von ärmeren Bevölkerungsschichten durchgeführt, die darauf angewiesen sind, auf irgendeine Art und in diesem speziellen Fall durch Tierhaltung, zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften. Pro tierhaltende Familie wird nur eine geringe Anzahl von Tieren gehalten. Genaue Zahlen sollen hierzu nicht angegeben werden, da sie sie je nach Stadt und Familiensituation zu sehr schwanken.
Was an dieser Stelle auch unberücksichtigt bleiben soll, sind Aspekte wie der Grad der Marktorientierung, die genaue Analyse der Familieneinkommen oder eine sehr differenzierte Betrachtung je nach gehaltener Tierart. Es geht nicht so sehr um die genaue Definition oder Abgrenzung, als vielmehr darum, auf die Tatsache aufmerksam zu machen, daß für gewisse Bevölkerungsschichten die Notwendigkeit besteht, sich darum zu bemühen, selber zusätzliches Einkommen zu schaffen und sie dies in nicht unbedeutendem Maß mit Hilfe von Tierhaltung tun.
Wie bereits erwähnt soll auf kleinbäuerliche, urbane Tierhaltung eingegangen werden, da diese vorwiegend von ärmeren Bevölkerungsschichten durchgeführt wird. Durch die Beleuchtung der verschiedenen Aspekte wie Funktionen, Probleme, Risiken und Einflußfaktoren, die die urbane Tierhaltung betreffen, soll herausgearbeitet werden, welchen Stellenwert urbane Tierhaltung tatsächlich für die Armen in den Städten hat und wo es Möglichkeiten gibt, einen wirksamen Beitrag zur Armutsbekämpfung oder -linderung zu leisten.
Die Tierhalter sind überwiegend Personen aus den unteren bis mittleren Einkommensschichten. Sie bilden den größten Anteil aller Tierhalter in den Städten. Die Tierhaltung stellt für diese Personengruppe nicht die ausschließliche Tätigkeit dar, viele Familienmitglieder sind in ganz anderen "Wirtschaftszweigen" tätig, aber die Tierhaltung trägt nicht unwesentlich zum Einkommen des Haushalts bei. €rmere Familien, die meist nicht über eigene Flächen verfügen, weiden ihre Tiere (zumindest was kleine Wiederkäuer und Schweine anbetrifft) auf öffentlichem und kommunalem Terrain. €hnliches gilt auch für Geflügel. Je nach Standort werden die Tiere dabei beaufsichtigt oder "vagabundieren", sich selbst überlassen, herum und ernähren sich größtenteils von Abfällen, die auf und entlang von Straßen und Wegen zu finden sind. Kleine Tiere wie Hühner, Kaninchen oder Meerschweinchen werden auf dem Wohngelände gehalten ("backyard" oder "on-plott" farming2), sei es im Hinterhof, in einem Schuppen oder gar im Wohnhaus. Man könnte zwar zur urbanen Tierhaltung auch die Haltung von z.ÊB. Zugtieren für die Bearbeitung von (stadtnahen) Ackerflächen und Transport hinzuzählen, da es aber bei diesem Thema die Ernährungssituation der Bevölkerung im Vordergrund steht, soll im folgenden nur auf die Tierhaltung eingegangen werden, die direkt zur Nahrungsmittelproduktion der Stadtbevölkerung beiträgt. In vielen Fällen bietet diese Art der Tierhaltung gerade für Frauen die Möglichkeit, zusätzliches Einkommen zu erwirtschaften, was im Hinblick auf erschwerten Zugang zu Land bzw. Bodenrecht, Kredit und anderen Inputs von besonderer Bedeutung ist.
Um dennoch aufzuzeigen, welche Herangehensweisen bei der Definition bzw. Beschreibung der urbanen Tierhaltung möglich sind, wird zunächst eine von Doppler (1991) zusammengestellte Betriebssystematik vorgestellt. Urbane Tierhaltung ist demnach ein Teil eines landwirtschaftlichen Betriebssystems und läßt sich nach einer genauen Charakterisierung in eine Betriebssystematik einordnen. Maßgebliche Kriterien zur Charakterisierung können dabei sein der Grad der Marktorientierung, die Knappheit an Fläche oder anderen Ressourcen wie Arbeit, Tiere oder Kapital, das Produktionssystem, Klima, Arbeitsverfassung, Einkommensquellen oder Familiengröße. Je nach dem, welche Kriterien zur Charakterisierung herangezogen werden, was wiederum davon abhängt, für welchen Zweck die Betriebssystematik erstellt wird, läßt sich urbane Tierhaltung einem oder mehreren Betriebssystemen zuordnen. So käme man mit der Einteilung nach dem Grad der Marktorientierung (ob subsistenz- oder marktorientiert) zu ganz anderen Ergebnissen als mit der Einteilung nach der Anzahl der Tiere pro Haushalt oder nach der Familiengröße.
Eine Einteilung, die sich mehr nach dem Einkommen der tierhaltenden Familien richtet, wird von Smit (UNDP, 1996:54-62) vorgenommen. Es wird nach "low-income" und "middle- and high-income farmers" unterschieden. "Low-income farmers" sind demnach Familien, die ein geringes Gesamteinkommen haben und dieses damit aufbessern, indem Tiere gehalten werden. Die Tierhaltung ist eine Einkommensmöglichkeit unter anderen und trägt je nach Umfang und je nach Art und Beständigkeit der anderen Einkommensmöglichkeiten nicht unwesentlich zum Familieneinkommen bei. Zu den "middle- und high-income farmers" zählen zum einen Beamte, die über ein mehr oder weniger regelmäßiges Gehalt verfügen, dieses aber noch durch eine gut organisierte Tierhaltung verbessern wollen. Für diese Leute ist der Zugang zu Inputs wie Beratung, Kreditwesen, Technologie und sonstige Ressourcen wesentlich einfacher als für "low-income farmers". Desweiteren lassen sich in diese Gruppe die Besitzer von intensiven Tierproduktionsanlagen einordnen. Deren Anlagen unterscheiden sich kaum mehr von solchen, wie sie uns aus industrialisierten Ländern bekannt sind. Es sind häufig gut funktionierende und gut organisierte Tierhaltungsbetriebe, die ein hohes und sicheres Einkommen erwirtschaften. Mit diesen Tierhaltern soll sich hier aber nicht näher beschäfttigt werden, da im Sinne der Armutsbekämpfung hier kein Handlungsbedarf besteht.
Eine Einteilung der urbanen Tierhaltung nach der Anzahl der gehaltenen Tiere pro Betrieb -ohne jedoch genaue Zahlen für die Einteilung anzugeben- wurde von Waters-Bayer (1995) vorgenommen. Demnach liegen größere, kommerziell geführte Betriebe vorwiegend an Stadträndern. Diese staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Unternehmen haben sich auf Geflügelhaltung, Milch- oder Fleischproduktion spezialisiert. Kleinere Betriebe, innerhalb der Stadt, sind überwiegend subsistenzwirtschaftlich und nur in geringem Maß marktorientiert. Je nach Lage lassen sich intra-urbane (innerhalb eines Stadtviertels) oder inter-urbane (zwischen zwei Stadtvierteln) ausmachen. Was die Produktionsweise anbetrifft, so lassen sich die Betriebe in "off-plott" und "on-plott"-Betriebe unterteilen. Bei "off-plot" Tierhaltung werden die Tiere, zumindest tagsüber, außerhalb des Wohngeländes gehalten. Je nach Platzangebot, Tierart und Einstellung des Tierhalters sind die Tiere angebunden, sie werden gehütet oder einfach sich selbst überlassen. Diese Art von Tierhaltung wird meist von landlosen Familien betrieben. Bei "on-plott" Tierhaltung befinden sich die gehaltenen Tiere überwiegend auf dem Wohngelände der Familie. Das nötige Futter und Wasser wird zu den Tieren gebracht.
3 Funktionen und Chancen der kleinbäuerlichen Tierhaltung
Wie bereits schon im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, trägt die kleinbäuerliche, urbane Tierhaltung nicht unwesentlich zur Verbesserung des Einkommens des Tierhalters bei. Neben dieser existieren weitere Funktionen, die sich positiv auf die ärmeren, tierhaltenden Bevölkerungsschichten in Städten auswirken. Die wichtigsten Funktionen seien hier zunächst einmal aufgelistet. Nicht alle dieser positiven Einflüsse haben an jedem Standort den gleichen Stellenwert, bzw. je nach Standort mögen auch noch weitere Funktionen hinzutreten.